Warum essen heute so viele Menschen Fertigprodukte und was macht das eigentlich mit einer Gesellschaft? Die neue Doku-Reihe „Cooked“ gibt Antwort auf diese Frage. Der bekannte Ernährungsexperte Michael Pollan erforscht dabei die vier wesentlichen Methoden der Nahrungszubereitung und ihre tiefe Verwurzelung in den verschiedenen Kulturen.
Michael Pollan ist in den USA ziemlich bekannt. Der Journalist und Berkeley-Professor schreibt leidenschaftliche Sachbücher und Essays, in denen er über die Hintergründe und Machenschaften der Lebensmittelindustrie aufklärt. Das tut er aber nicht laut und marktschreierisch, sondern auf eine eher dezente und fundierte Art und Weise. Sein Buch „Das Omnivoren-Dilemma. Wie sich die Industrie der Lebensmittel bemächtigte und warum Essen so kompliziert wurde“ landete vor einigen Jahren auf der Bestsellerliste der New York Times und bildete die Basis für den Dokumentarfilm „Food Inc.“, der auch heute noch durchaus sehenswert ist, weil er die Abläufe hinter der Herstellung von Massenlebensmitteln und Fertigprodukten noch mal so klar macht (unter anderem ging es darin auch um den dann arg in Veruf geratenen Saatgutkonzern onsanto). Den bekannten Ausspruch von Pollan kennt ihr sicher:
„Man sollte nichts essen, was die eigene Großmutter nicht als Nahrung erkannt hätte.“
Die vier Methoden der Nahrungszubereitung
Ein kluger Mensch also, der Herr Pollan. Kein Wunder, dass seine neue Dokumentation „Cooked“ heiß erwartet wurde. Zu sehen ist der Vierteiler seit ein paar Tagen auf dem Streamingdienst Netflix. Auch hier geht es wieder um die zeitgenössische Esskultur und den Einfluss der Industrie auf unser Essverhalten (und unsere Gesundheit). Aber mehr noch, Pollan stellt in jeder Folge der Dokumentation eine der vier wesentlichen Methoden der Nahrungszubereitung vor, die seit Jahrtausenden die Ernährung von uns Menschen bestimmen. Es sind die folgenden:
- In der Folge „Feuer“ berichtet Pollan über die Entdeckung des Feuers für die Zubereitung von Nahrung und das Garen von Fleisch.
- In der Folge „Wasser“ geht es um das Kochen in Töpfen, das es erstmals ermöglichte, verschiedene Nahrungsmittel zusammenzukochen und aus ihrem Zusammenspiel neue Aromen entstehen zu lassen.
- In der Folge „Luft“ dreht sich alles um das Brotbacken. Brot ist laut Pollan ein „magisches Nahrungsmittel“, weil es aus nur drei Zutaten – Mehl, Wasser, Salz – herzustellen und in fast jeder Kultur zu finden ist.
- In der letzten Folge, „Erde“, steht die Fermentation von Nahrungsmitteln im Vordergrund. Hier erwarteten mich persönlich die meisten neuen Überraschungen: Klar weiß man Bescheid über die Herstellung von Käse und Rotwein, aber wusstet ihr, dass ein Drittel aller Nahrungsmittel fermentiert sind? Und sogar Schokolade durch Fermentierung entsteht?
All diese Methoden stellt „Cooked“ in wunderschönen Bildern vor. Die entfalten eine besondere Magie, obwohl sie ganz Alltägliches zeigen: Einen alten Keramiktopf, brodelndes Wasser, einen frisch gebackenen Laib Brot. Dazu entführt uns der Film in ferne Teile der Welt – Indien, Marokko, Peru – und besucht Menschen, die dort ernten, kochen und essen.
Aber seht selbst, hier der Trailer:
Warum Kochen unmodern wurde
In allen vier Folgen geht es um jahrtausende alte Methoden der Nahrungszubereitung. Und natürlich zieht Pollan die Verbindung zu heute: Einer Zeit, in der immer weniger Menschen selber kochen und darüber den Bezug zu ihrer Nahrung und zur Natur verlieren. Und nicht nur das: Durch die vielen Fertigprodukte konsumieren die Menschen Unmengen von Zucker, Salz und Fett – ein Geschmackswandel oder eine Prägung, die sich nur schwer umgewöhnen lässt. Welche Folgen das hat, wissen wir ja, Übergewicht und viele Krankheiten. Die USA ist weltweit das Land, in dem die Menschen am wenigsten Zeit für ihre Nahrungszubereitung aufwenden: Gerade mal 27 Minuten pro Tag erübrigt der durchschnittliche Amerikaner dafür. Vor 40 Jahren betrug die Zeit noch das Doppelte! Woher kommt nun dieser Rückgang in der Selbstversorgung, warum kochen die meisten Menschen heute nicht mehr selbst?
Diesen Wandel hin zu Fertignahrung weg vom Herd begründet Pollan u.a. wie folgt:Die Entwicklung begann etwa in den 60er Jahren, als immer mehr Frauen arbeiteten und keine Zeit mehr für das Kochen aufbringen konnten. Zeitgleich wollte die Industrie ihre im zweiten Weltkrieg für die Soldaten entwickelten Fertigprodukte an den Mann bringen. In aufwändigen Werbekampagnen wurden die neuen Fertigprodukte angepriesen und dabei das selber Kochen als unzeitgemäß und unmodern abgetan. Die Kampagnen waren für heutige Verhältnisse übrigens herrlich sexistisch: Die Produkte trugen Namen wie Mom’s day off(Muttis freier Tag) oder zeigten eine Zeitung lesende Frau – mit dem Untertitel: Endlich erfährt Mutti auch, was in der Welt los ist, weil sie nicht mehr in der Küche stehen muss. Uah, gruselig, was für eine Zeit. Michael Pollan interpretiert das so:
„Die Industrie versucht, das Kochen als tägliche Beschäftigung zu untergraben, in dem sie uns davon überzeugen will, dass Kochen eine zeitraubende nervige Angelegenheit ist, die man lieber anderen überlässt.“
Heute kehrt sich die Wahrnehmung zwar in einigen Gesellschaftsschichten wieder um, aber generell haben die meisten Menschen heute zu wenig Zeit zum Kochen, hetzen von Termin zu Termin und wollen das lästige Kochen schlicht „outsourcen“. Dazu passt die Meinung des Wall Street Journal. Dort schrieb man vor einigen Jahren, dass es wirtschaftlich „effizienter“ sei lieber eine Stunde länger im Büro zu sein und das Kochen anderen zu überlassen.
Indischer Wandel: Von Lunchboxes zu KFC
Indien schaffte es bislang, die moderne Büroarbeiterei mit hausgemachtem Essen zu kombinieren. Kennt ihr das irre System der indischen Lunchboxes? Falls nein, super interessant. Kurz gesagt: In Indien bekommen Angestellte in Büros ihr zuhause gekochtes Essen direkt an den Schreibtisch geliefert – das erledigen tausende von super gut organisierten Fahrradboten für sie. Doch leider ändert sich auch in Indien einiges, denn die großen Food-Konzerne wollen den Markt erobern und investieren eifrig in Werbespots, die hippe junge Inder beim Konsumieren von Pepsi und Junkfood zeigen und das als modern verkaufen. So essen jetzt immer mehr Inder z.B. bei Kentucky Fried Chicken anstatt das leckere selbstgekochte Essen. Pollan entführt uns dann noch in eine indische Nestlé-Testküche, in der versucht wird, natürliche Speisen geschmacklich eins zu eins mit künstlichen Aromen nachzubilden. Chicken Tikka mit E-Stoffen. Brrr, da kriege ich das kalte Schütteln.
Die Magie des Kochens wiederentdecken
So. Um all dies geht es also in „Cooked“. Und das wie gesagt, in wunderschönen Bildern erzählt. Besonders berührt hat mich übrigens die Aussage der Köchin Samin Nosrat. Sie sagte sinngemäß, dass wir versuchen, so viele Arbeitsschritte weg zu optimieren, um mehr Zeit für das Wesentliche zu haben – aber dabei sind genau diese kleinen Alltäglichkeiten das, was das Wesentliche im Leben ausmacht. Dazu passt Pollans Appell, der hinter allem steht, dass wir die uralten Traditionen wiederentdecken und wertschätzen sollen. Dass die Transformationen, die beim Kochen passieren – sei es auf dem Grill, beim Backen oder in der Fermentation – pure Magie sind, die wir vor Urzeiten entdeckt haben und die unsere moderne Kultur überhaupt erst ermöglicht haben. Nach Pollans Ansicht werden wir erfüllter leben, wenn wir diese Prozesse wieder entdecken und an den Herd zurückkehren.
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