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Warum Langsamkeit der schnellste Weg zum Glück ist

Warum Langsamkeit der schnellste Weg zum Glück ist

Hast Du auch manchmal das Gefühl, das eigene Leben zu verpassen? Damit bist Du nicht allein. Handy, Whatsapp, E-Mails: Sie sollten uns Zeit sparen, aber klauen sie uns paradoxerweise. Wir sind immer online und im Dauerstress – mit bösen Folgen: In westlichen Ländern nehmen Angststörungen und Depressionen zu. Dabei ist das Mittel zum Glück so simpel: Einfach mal innehalten. Das ist laut Reisejournalist Pico Iyer sogar aufregender als eine Reise nach Tibet oder Kuba.

Immer mehr psychische Krankheiten

Viel Menschen haben heute das Gefühl, ihr Leben würde im Schnelldurchlauf an ihnen vorbeirasen. Dabei wünschen sie sich nichts sehnlicher, als dass endlich mal jemand eine Pause-Taste erfindet, die sie alle paar Wochen einmal betätigen können, um den Alltag anzuhalten, endlich mal tief durchzuatmen, sich vielleicht einen Tee zu machen, in die Wolken zu starren und alle Eindrücke zu sortieren. Wir fühlen uns überfordert vom heutigen Alltag und entwickeln zahlreiche Stresssymptome und sogar Krankheiten. Und dass, obwohl wir in unserer Gesellschaft vieles erreicht haben, was uns das Leben eigentlich angenehmer und uns selbst glücklicher machen sollte: Die meisten von uns genießen komfortable Annehmlichkeiten wie z.B. ein gemütliches Zuhause und täglich mehrere leckere Mahlzeiten. Wir arbeiten weniger hart körperlich und per se viel weniger Stunden als noch vor einhundert Jahren. Doch trotz dieser Errungenschaften nehmen in vielen westlichen Ländern Angststörungen und Depressionen zu. So zeigt eine Studie der West Virginia University School of Public Health, dass die Suizidrate in den USA in den vergangenen zehn Jahren um 15 Prozent gestiegen ist.

Macht uns das hohe Tempo traurig?

Der bekannte Reiseschriftsteller und Journalist Pico Iyer sieht die Wurzel des Übels in der Schnelligkeit unserer Zeit. Wir sind täglich konfrontiert mit tausenden von Eindrücken, die auf uns einprasseln. Im Vergleich zu einem Landarbeiter, der anno 1900 seine Felder bestellte und im Einklang mit den Rhythmen der Natur lebte, haben sich die Erlebnisse und Eindrücke eines durchschnittlichen Tages wohl verhundertfacht. Wir sind ständig online, allzeit bereit, checken dutzende Male am Tag unsere E-Mails, SMS, Whatsapp, kommunizieren quer über den Globus, verabreden uns zum Businesslunch, eilen abends noch schnell zum Sport, um wenigstens einmal am Tag den Körper zu spüren, drängeln uns mit Fahrrad oder Auto durch den Verkehr, surfen noch einmal Pinterest oder facebook ab, bevor endlich das Licht ausgeht. Ein ständiges zu viel an allem. Obwohl wir heute weniger Stunden arbeiten als vor einigen Jahrzehnten, haben wir das Gefühl, wir würden viel mehr arbeiten. Denn durch die Technologisierung und Digitalisierung erledigen wir viel mehr Aufgaben in derselben Zeit.

Digitales Detox lässt Gefühle zurückkehren

Auch der amerikanische Yogalehrer und Autor Max Strom zieht in seinem neuem Buch „There is no app for happiness“ (erscheint im Januar 2016, zunächst nur auf Englisch) eine Parallele zwischen den zunehmenden psychischen Erkrankungen in der westlichen Welt und der Technologisierung. In allen Gegenden der Welt, wo die Menschen über Smartphones und E-Mails verfügen, nimmt die Lebenszufriedenheit ab. In den reichsten Gesellschaften tauchen die meisten Angststörungen auf. Strom stellt fest, dass viele Menschen heute kaum mehr mehr zu ihren Gefühlen haben. Sein Heilmittel: Ein temporäres „digitales Detox“. Er verbietet seinen Seminarbesuchern Handy und E-Mails. Nach einigen Tagen beginnen sie, sich langsam wieder zu spüren und Kontakt zu sich zu bekommen. Die scheinbare digitale Intimität, die Netzwerke wie facebook oder Kommunikationskanäle wie Whatsapp vorgaukeln, wird wieder durch echten Kontakt ersetzt. Und enge soziale Beziehungen sind schließlich das, was Menschen nachhaltig glücklich macht, das belegen psychologische Studien immer wieder.

Stehen bleiben ist aufregender als nach Tibet zu reisen

Der oben erwähnte Pico Iyer reist nach einer Ausbildung in den Eliteschulen von Eton, Oxford und Harvard als Journalist quer über den Erdball. Seit über zwei Jahrzehnten führen ihn seine Reisen nach Tibet, Kuba, auf die Osterinseln, nach Äthiopien. Irgendwann dämmerte dem Vielgereisten, dass es nicht die vielen neuen Orte sind, die ihn glücklich machen, sondern das genaue Gegenteil: Das Innehalten. Er erforscht das Phänomen in seinem neuen Buch und hält auf der amerikanischen freigeistigen Vordenker-Reihe Ted-Talks eine spannende Rede darüber. (Das Video solltet ihr euch unbedingt ansehen, das könnt ihr hier tun.)

Iyer bezeichnet das heutige Lebenstempo als nahezu unmenschlich, die ständige Überladung verhindert, dass wir die vielen Eindrücke interpretieren können. Seine Lösung lautet: Stehen bleiben und sich Auszeiten nehmen. Going nowhere nennt er das und findet es mindestens so aufregend wie eine Reise nach Kuba oder Tibet. Auch in der Musik gibt erst die Pause, dem Stück seine Tiefe. Sein hektisches New Yorker Leben tauschte er schon früh gegen die Idylle im japanischen Kyoto. Erst durch das Stillstehen kann man, so Iyer, dem Erlebten einen Sinn geben, seine Eindrücke sortieren und seiner Vergangenheit und Zukunft einen Sinn geben. Egal ob es jeden Tag ein paar Minuten sind oder vielleicht einmal eine Auszeit von einem Jahr. Iyer empfiehlt, lange genug still zu halten, um herauszufinden, was Dich am meisten bewegt und wo Dein wahres Glück liegt.

„In Deinem nächsten Urlaub kannst Du nach Paris oder Hawaii oder New Orleans fahren und bestimmt eine wundervolle Zeit erleben. Aber wenn Du inspiriert und voller Hoffnung zurück nach Hause kommen willst, verliebt in die Welt, dann solltest Du mal probieren, nirgendwohin zu fahren.“

Erst Reflektion gibt dem Erlebten einen Sinn

Die Erkenntnis, dass das Innere eine größere Rolle spielt als das Äußere, ist nicht neu. Iyer führt z.B. die Stoiker an, die bereits vor 2000 Jahren erkannten, dass nicht das Erlebte uns ausmacht, sondern das, was wir innerlich daraus machen. Nichts ist gut oder schlecht, erst das Denken macht es zu einem davon. Das Leben findet im Kopf statt, in der Erinnerung oder Phantasie. Wer sein Leben ändern will, sollte im Kopf anfangen. Diese alten Ideen sind aufgrund der modernen Umstände brisanter denn je: Nie war es schwerer, still zu stehen als heute. Wir erfinden zeitsparende Devices, aber haben immer weniger Zeit. Ausgerechnet in der Geburtsort dieser Devices, dem Silicon Valley, erfinden die Menschen jetzt Dinge wie das Internet Sabbath, eine 24-stündige digitale Auszeit.

Bücher von Pico Iyer

4 Wege zu entschleunigen

  • Digitales Detox vorm Einschlafen: Eine halbe Stunde vor dem Schlafen Fernseher, Radio und Handy ausmachen und stattdessen entweder zu einem Buch greifen und ein paar Seiten lesen (aber bitte keine Zeitschriften und Zeitungen, die überfordern das Gehirn durch die vielen Bilder und Informationen) oder einfach mit dem Partner reden.
  • Auszeit am Morgen: Am Samstag- oder Sonntagmorgen in Ruhe einen Kaffee trinken und in die Wolken schauen. Die Gedanken schweifen lassen und sich fragen, was die Woche über wichtig war und was in nächster Zeit so ansteht.
  • Digitales Detox-Wochenende: Ein Wochenende lang ist kein Internet erlaubt, weder übers Smartphone noch über Tablet oder andere Devices. Whatsapp einfach mal Whatsapp sein lassen, E-Mails ins Leere laufen lassen. Schon nach nur zwei Tagen werdet ihr eine Veränderung in eurem Gefühlsleben merken. Besonders gut für dies Experiment geeignet, sind Wochenenden, die ihr in einer anderen Stadt oder einem anderen Ort verbringt. Dann seid ihr ganz frei für die neuen Eindrücke.
  • Für den großen Entschleunigungshunger: Mindestens eine Woche lang auf Pilger- oder Wanderurlaub gehen. Eintauchen in die Natur, die Welt zu Fuß und nur mit dem, was man im Rucksack hat, erobern.

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