Ernährung als Medizin
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Wie Du eine Nahrungsmittelunverträglichkeit aufdeckst und mit ihr umgehst

Nahrungsmittelunverträglichkeit erkennen

Immer mehr Menschen leiden unter einer Nahrungsmittelunverträglichkeit und kämpfen oft lange mit ihren Beschwerden, bis die Ursache gefunden wird. So erging es auch Helen, die eine vierjährige Ärzte-Odyssee hinter sich brachte, bis sie endlich wusste, was mit ihrem Körper los war. Froh über ihre Heilung, gibt sie anderen ihr Wissen heute auf ihrer Website Weglasserei.de weiter. Im Interview verrät sie, welche drei Schritte Du zunächst tun solltest, um die Ursache Deiner Beschwerden zu entdecken, was dabei häufige Anfängerfehler sind, warum „gesund“ essen nicht immer die Lösung ist und wieso die große Obstauswahl im Supermarkt manche Körper überfordert.

Helen, Du hast eine Website über Nahrungsmittelunverträglichkeiten, die Weglasserei.de, gegründet. Wie kamst Du auf die Idee, warst Du persönlich betroffen?

Helen: „Genau, die Idee entstand während meiner Recherchen zu meinen Magen-Darm-Beschwerden. Auf Bali fing ich mir Amöbenruhr ein und von da an hatte ich immer wieder Beschwerden. Ich wurde von Ärzten untersucht, von Ultraschall über Magen-Darm-Spiegelung bis Darm-MRT und war von den Untersuchungen her gesund. Da sie mir nicht weiterhelfen konnten, recherchierte ich selbst in Büchern und vor allem in Foren und auf Blogs. Dabei haben mir die Seiten von Selbstbetroffenen am meisten geholfen. Und da es noch nicht so viele gibt, entstand die Idee, mein Wissen und meine Erfahrungen ebenfalls weiterzugeben.“

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Viele Menschen quälen sich lange mit unklaren Beschwerden herum, bevor sie herausfinden, was genau ihr Körper nicht verträgt. Wie lange hat es bei Dir gedauert, bis Du Deiner Unverträglichkeit auf die Schliche gekommen bist und wer hat Dir letztlich geholfen?

„Geholfen hat mir ein Fruktose- und Laktoseatemtest beim Arzt. Den forderte ich bei meinem Hausarzt ein, als ich eine Unverträglichkeit vermutete. Man muss viel Selbstinitiative ergreifen, weil die Ärzte oft nicht weiter wissen, wenn Untersuchungen kein Ergebnis liefern. Nach zwei Jahren Suche wurde Fruktoseunverträglichkeit bei mir festgestellt. Meine Beschwerden sind durch fructosearme Ernährung besser geworden, aber nicht komplett verschwunden.

Nach dem der Arzt nicht weiter wusste, bin ich zu einem Heilpraktiker, der sich auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten spezialisiert hat. Er hat mir geholfen, meine Darmflora und mein Immunsystem aufzupäppeln und hat Lebensmittel ausgetestet. Dadurch ging es mir wieder ein Stück besser. Außerdem bin ich auf die FODMAP-Diät gestoßen. FODMAPs sind Stoffe in Lebensmitteln, die bei Menschen mit einem gereizten Darm Verdauungsprobleme verursachen können, wie z.B. Laktose, Gluten und Fructose. Dadurch sind meine Beschwerden dann erstmals verschwunden. Was auch noch geholfen hat, ist Stress zu reduzieren. Ich hatte einen Job, der mich sehr belastet hat. Als ich den los war, wurden meine Beschwerden ebenfalls besser. Bis ich komplett Ruhe im Bauch hatte, sind insgesamt vier Jahre vergangen.“

Was würdest Du Menschen raten, die mit diffusen Beschwerden wie z.B. Bauchkrämpfen, Blähungen, Trägheit oder sogar Durchfall zu kämpfen haben – wie können sie aufdecken, was ihren Körper krankmacht?

  1. „Als erstes würde ich empfehlen, ein Ernährungstagebuch zu führen. Man schreibt auf, was zu welcher Uhrzeit gegessen und getrunken wurde. Auch die Beschwerden werden mit Uhrzeit festgehalten. Nach ein paar Wochen kann man es durchgehen und schauen, von was die Beschwerden auftreten. Auch der Arzt oder Ernährungsberater kann so besser weiterhelfen.
  2. Dann ist es ganz wichtig, sich beim Arzt komplett durchchecken zu lassen, damit Krankheiten ausgeschlossen werden können. Auch Unverträglichkeiten sollten getestet werden. Laktose- und Fruktoseunverträglichkeit kann mit einem Atemtest festgestellt werden. Gluten kann nur durch eine Darmspiegelung festgestellt werden.
  3. Sollte eine Unverträglichkeit vorliegen, wird der Arzt eine Ernährungsberatung vorschlagen. Das kann ich grundsätzlich jedem empfehlen, der sich nicht so gut mit Ernährung auskennt oder schon lange Beschwerden hat. Ein Ernährungsberater kann dabei helfen, die passende Ernährung herauszufinden. Die FODMAP-Diät finde ich ideal, weil dabei die Hauptverursacher für Unverträglichkeiten weggelassen werden, wie Laktose, Gluten, zum Großteil Fruktose und Zuckeraustauschstoffe. Sie geht zwei bis acht Wochen. Wenn die Beschwerden verschwunden sind, kann jedes Lebensmittel einzeln getestet werden. So kann man herausfinden, welche Lebensmittel Beschwerden verursachen.“

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Wie kommt es, dass immer mehr Menschen Unverträglichkeiten entwickeln?

„Ich glaube, das kommt unter anderem durch die stark industriell verarbeiteten Lebensmittel, wie Fertigprodukte oder Zusatzstoffe. Laktose findet sich zum Beispiel in Wurst. Oder Fructose in Brot und Gebäck, um es fluffig und haltbar zu machen. Auch Zuckeraustauschstoffe in Getränken und Light-Produkten gab es vor 25 Jahren noch nicht.

Außerdem wird Obst und Gemüse immer mehr herangezüchtet. Äpfel wurden süß gezüchtet, weil sie sich besser verkaufen. Dadurch enthalten sie deutlich höhere Mengen Fructose als vor 100 Jahren und werden bei Fruktoseunverträglichkeit überhaupt nicht vertragen. Es soll noch alte Apfelsorten geben, die vom Geschmack saurer sind und von Menschen mit Fruktoseintoleranz vertragen werden. Auch dass uns eine so große Auswahl an Obst zur Verfügung steht wie noch nie, trägt dazu bei, dass wir viel mehr Obst und damit Fruktose essen, als unser Körper verarbeiten kann.

Auch Antibiotika können die Darmflora so durcheinander bringen, dass bestimmte Lebensmittel nicht mehr vertragen werden. Und Stress trägt ebenfalls dazu bei, dass sich Unverträglichkeiten verstärken, die vorher unbemerkt blieben.“

„Gesund essen ist nicht immer die Lösung“

Welche Anfängerfehler hast Du gemacht, als Du die ersten Symptome verspürtest?

„Zu denken, dass ich gesünder essen muss und viel mehr Obst und Gemüse gegessen habe. Vor allem, weil ich die Sorten mit viel Fruktose und FODMAPs erwischte, wie z.B. Avocado, Süßkartoffel, Äpfel und Birnen. Für die gesunde Ernährung orientierte ich mich an Ernährungstrends wie zum Beispiel Paleo. Nur weil eine Ernährungsweise als gesund gilt, gilt das nicht automatisch für jeden Menschen. Außerdem glaubte ich anfangs den Ärzten, dass ich nichts gegen meine Beschwerden machen kann bzw. nur mit Medikamenten. Im Nachhinein wäre ich schneller selbst aktiv geworden, um den Arzt zu wechseln oder zum Heilpraktiker oder Osteopathen zu gehen.“

Was kann neben dem Weglassen bestimmter Lebensmittel bei empfindsamem Magen-Darm helfen?

„Bewegung hilft, den Stoffwechsel in Schwung zu bringen. Außerdem kann wunderbar Stress abgebaut werden, der schnell entsteht, wenn man sich mit Unverträglichkeiten herumärgert. Auch für Entspannung zu sorgen hilft den Darm zu beruhigen. Er reagiert auf Stress und kann die Unverträglichkeit dadurch verstärken. Außerdem ist es nicht nur wichtig was man isst, sondern auch wie man isst. Ausführlich zu kauen und in Ruhe zu essen ist enorm wichtig – daran muss ich mich selbst auch immer wieder erinnern. Außerdem sollte man erst essen, wenn man hungrig ist und nicht aus Langeweile, das belastet sonst Magen und Darm zusätzlich. Meistens ist es für einen empfindsamen Magen und Darm besser, mehrere kleine Mahlzeiten zu essen, als drei Mal am Tag eine große Portion.“

Wie reagierst Du auf die leider oft landläufige Meinung, das wäre „alles nur Einbildung“ und „heutzutage wäre es ja schick, unter einer Unverträglichkeit zu leiden“ – sowas musstest Du Dir vielleicht auch schon mal anhören?

„Artikel zu diesem Thema lese ich gar nicht mehr, da werde ich sonst echt sauer. Bestimmt gibt es Leute, die gluten- oder laktosefrei essen, obwohl sie keine Unverträglichkeit haben. Aber Leuten mit schmerzhaften Beschwerden vorzuwerfen, dass sie nur einem Trend folgen, finde ich schlimm. Dass ich mir meine Unverträglichkeit nur einbilde, musste ich mir einige Male anhören. Ich frage dann gerne, ob sie glauben, dass ich mir die höllischen Bauchkrämpfe und den Durchfall auch einbilde. Meistens sind sie dann peinlich berührt und geben Ruhe. Solche Sprüche bekam ich zum Glück nur selten zu hören. Viele können sich einfach nicht vorstellen, wie schlimm es ist, nicht zu wissen, ob man nach dem Essen direkt zu Toilette sprinten oder höllische Schmerzen aushalten muss.“

lebensmittelunvertraeglichkWie schaffst Du es, Deine Ernährung im Alltag durchzuhalten, z.B. beim Essen gehen mit Freunden oder Kollegen?

„Inzwischen weiß ich, was ich vertrage und suche mir dementsprechend Gerichte aus. Ich achte z.B. darauf, dass keine Soßen dabei sind, denn die enthalten meistens Zusatztsoffe, Milch oder Zwiebeln. Oft stelle ich mir aus Zutaten von verschiedenen Gerichten etwas eigenes zusammen. Das geht hervorragend mit Salat. Das Dressing stelle ich mir selbst zusammen aus einer halben Zitrone und Öl. Oder ich bestelle ein Stück Fleisch oder Fisch ohne Panade und dazu Salat oder Gemüse. Auch aus verschiedenen Beilagen, wie Gemüse und Kartoffeln, stellte ich mir schon ein Gericht zusammen. Als die Unverträglichkeit noch sehr ausgeprägt war, hatte ich immer etwas Verträgliches dabei. Das habe ich vorher gegessen, damit mir im Restaurant eine Kleinigkeit reichte.

Um die Ernährung im Alltag durchzuhalten, ist es gut, immer einen verträglichen Snack in der Tasche dabei zu haben, damit man nicht aus Hunger auf Unverträgliches ausweichen muss.“

Tipp: Immer einen Notfall-Snack in der Tasche haben

Was hat sich seit Deiner Ernährungsumstellung alles verändert – hast Du z.B. neue Lieblingslebensmittel gewonnen?

„Ich esse gesünder und bewusster. Vor meiner Ernährungsumstellung habe ich Unmengen an Süßigkeiten gegessen. Ich hätte nie gedacht, dass ich das ändern kann. Auch Fertigprodukte und Milchprodukte esse ich kaum noch. Ich ersetzte sie durch neue Lieblingslebensmittel, z.B. Buchweizen, Hirse und Kokosöl. Beim Obst und Gemüse musste ich auf verträgliche Sorten umsteigen, wie Rhabarber, Blaubeeren, Spinat, Kartoffeln und Pastinake, die es vor der Ernährungsumstellung selten bei mir gab.

Außerdem achte ich mehr auf mich, in dem ich mir Ruhepausen gönne und mich regelmäßig bewege. Umso wohler ich mich insgesamt fühle, desto besser geht es meinem Bauch.“

Was war früher Dein persönliches Leibgericht – und welches ist es heute?

„Maultaschen waren früher mein Lieblingsgericht, wie es sich für eine Schwäbin gehört 😉 Heute esse ich nur noch die selbst gemachten von meiner Mama oder Oma, weil ich weiß, was drin ist. Mein Lieblingsgericht heute sind am Wochenende zum Frühstück Buchweizenpancakes mit Banane und als Hauptgericht Zucchini-Nudeln mit Pesto oder Tomatensoße.“

Liebe Helen, vielen Dank für das interessante Interview und viel Erfolg mit Deiner Website! Schaut doch mal bei der Weglasserei.de vorbei: www.weglasserei.de.

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